Ordo Templi Orientis Phänomen

Ekstatische Erzeugung von Kultur

von Peter-Robert Koenig






Dieser Essay wurde 1996 geschrieben und wird hier erweitert wiedergegeben.[1]

Wir konzentrieren uns auf folgende Stichworte und Aspekte des Okkultismus als sozialem Kon­strukt:[2]
·        Aleister Crowleys magische Religion als Grundlage des modernen Okkultismus[3]
·        euphorische Trance–Bilder
·        Kabbala als Wortkitt zwischen den Realitäten[4]
·        an okkulte Orden und Logen gebundener Okkultismus und freie Okkultisten
Ordo Templi Orientis Phenomenon, Ecstatic Creation of Culture, Criação Extática de Cultura, Ekstatische Erzeugung von Kultur


Im Okkultismus werden Rationales und Irrationales in einem erweiterten Konzept des Bewussten eins; werden Orien­tierungshilfen menschlichen Verhaltens. Trotzdem bleibt immer die Frage offen, weshalb und wie die Visionen der Okkultisten entstehen und erfahren werden. Einzig sicher ist allein, dass etwas auf einem unbekannten Level des Bewusstseins erfahren wird. Dieses Kapitel ist nicht der Platz um die Erfahrung von Realität, ihre Abhängigkeit vom Bewussten (ob kollektiv postuliert oder nicht) zu diskutieren, noch wird die Rolle des Hirns erwähnt.[5] Nicht weshalb Visionen sind (etwa als Ausdruck von Angst vor dem Sichtba­ren), sondern auf welche Weise sie als Visionen existieren, soll Thema sein: und welchen Beitrag zur Kultur kann diese Art von Okkultismus leisten? Setzt sich Herbert Marcuses Libido als transzendentales Prinzip der soli­darischen Erfahrung im okkulten Untergrund der Kultur um?[6]


Pareidolie und Kryptomnesie


Wikipedia: "Unter Pareidolie (von griechisch para – daneben, vorbei + eidolon – Bild oder Erscheinung) versteht man die Tendenz des Gehirns, bei seiner stetigen Suche nach Mustern und Bildern in der Wahrnehmung diese auch selbst in zufälligen Strukturen oder in Sinneseindrücken geringen Informationsgehalts zu finden. Ein typisches Beispiel sind Figuren, die wir in vorbeitreibenden Wolken oder in den Formen von Bergrücken zu erkennen glauben. Pareidolie ist eine unvermeidbare Nebenerscheinung der normalen Wahrnehmungs­tätigkeit des Gehirns. Jede Wahrnehmung ist an das (Wieder–)Erkennen von abstrahierten Gemeinsamkeiten (Mustern) wiederholter Sinneseindrücke gebunden, die durch Lernvorgänge gebildet und gefestigt werden. Dabei hängt eine Wiedererkennung von den gespeicherten Erinnerungen ab. Deshalb wirkt sich auch eine Erwartung auf die Wahrnehmung eines Musters aus. Damit ist die Wahrnehmung auch durch Kommunikation beeinflusst und somit (absichtlich oder unabsichtlich) manipulierbar. Auf diesem Weg kann es zu gemeinsamen Fehlwahrnehmungen bis hin zu massenpsychotischen Illusionen kommen (z. B. Wahrnehmung von UFOs, Hören von Stimmen in spiritistischen Sitzungen).
Die Wahrscheinlichkeit, ein solches falsches Bild oder eine eigentlich nicht vorhandene Struktur zu sehen, ist also umso größer, je mehr man erwartet, etwas 'Sinnvolles' zu finden. Dies erklärt auch, warum beispielsweise manche Menschen das Antlitz Satans im Rauch der eingestürzten Türme des World Trade Centers zu erkennen glaubten, oder auch, warum man im Westen den Mann im Mond sieht, während andere Kulturen eine alte Frau oder auch einen Hasen erblicken. Die Pareidolie ist auch im Rahmen der Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst) ein bekanntes Phänomen."[7]

Wikipedia: "Kryptomnesie (griechisch für 'vergessene Erinnerung, verstecktes Gedächtnis') ist ein psychologischer Fachbegriff für das Phänomen, dass sich jemand fälschlicherweise aber gutgläubig als Urheber eines Gedankens oder einer Schöpfung versteht. Tatsächlich hat die Person aus dem Unterbewussten Gedanken oder Ideen entnommen, die von einer äußeren Quelle stammten. Die Übernahme der Information aus dieser Quelle ist jedoch – im Gegensatz zur Information selbst – entweder in Vergessenheit geraten oder war von Anfang an nicht bewusst. […]
Ein Hinweis darauf, ob ein Plagiat oder Kryptomnesie vorliegt, ergibt sich daraus, ob die betroffene Person frühzeitig schon Vertuschungshandlungen vorgenommen hat."[8]

Das Gehirn nutzt vorhandene Vorstellungen über das Gedächtnis und schafft durch veränderte Gehirnfunktionen eine bestimmte Symptomkonstellation.[9]

Die Heiligen Bücher der Propheten, z.B. von Aleister Crowley, sind für deren Anhänger bewusst­seinsverändernde Codes, die, wenn richtig mit einer weiteren himmlischen Kurzschrift (nämlich der Kabbala als virtual reality) entschlüsselt, ihren Kokon verlassen und für den magischen Hausgebrauch symbolisch dekodiert und den bewusst­seinserweiternden Bedürfnissen angepasst werden. Dabei bleibt es unerheblich, ob Kreativität im Austausch mit dem Phänomen (z.B. der Trance) entsteht, oder erst durch die Beschäftigung damit im Nachhinein. Imagination und Interpretation werden austauschbare Indikatoren von Realität und heiligen Bildern. Einige von Crowleys Anhängern nennen dies magische Sukzession: auf den Visionen anderer Anhänger aufzubau­ende eigene Bewusstseinsveränderungen. Die Kreativität, die durch Visionen freigesetzt wird, und das Kommunizieren darüber verdichten die Realität dieser Erfahrung und machen sie heilig. Diese Al­chemie verändert den Autoren und sein Text wird so ein magisches Kind: eine jenseitige Welt zum Vorzeigen in der diesseitigen. Dieses Sichtbarwerden, das detailreich Trancebilder beschreibt, scheint experimentell zu sein: verschiedene zusammenprallende Sichtweisen, abrupte Assoziationssprünge, sinnliche Erfahrungsfetzen kombinieren sich. Viele freie Okkultisten scheinen bewusst über keine wohldefinierte oder unzersplit­terte Persönlichkeit mehr zu verfügen (verglichen mit dem traditionellen Konzept von Ich).

Der undefinierbare Moment von frei flottierenden Visionen ohne Ordensprogramm bestimmt eine neue Funktionsweise des Auges: ein Sehen, das sich über alles Bekannte hinausdehnt, bis kein Blick mehr sieht, was einfach ist. Überschuss an erfahrungsrelevanter Unbestimmtheit und Ungenauigkeit (z.B. das Fehlen einer Exegese eines Sym­bolträgers, wie Baphomet) erlaubt dem nicht an Dogmen gebundenen Okkultisten individuelle Rela­tionen von Zeichen und Bezeichnetem, neue Codes und eine neue Rhetorik zum Ziele neuer Struktu­ren. Visionen werden menschliche Erweiterungen, um Gnosis zu erreichen, um im Pleroma aufzuge­hen. Durch Interpretationsbedürftigkeit entsteht ein Reflexionszuwachs, bei dem keine individuelle Urheberschaft (oder Regulation durch ein Ordensoberhaupt) mehr nötig wird. Magische Sukzession ruft nicht nach einer stetigen Wiederholung ständiger Inszenierbarkeit (wie z.B. beim O.T.O. mit sei­nen starren Ritualen), sondern ist eine Metapher für die Kontinuität von Illuminationsstrate­gien.[10]

Als Organisator von in Trance erlebten Bildern, reflektiert der freie Okkultist die archaische Schöp­fungs–Idee des idealistischen Ästhetizismus. Er löst materialistische Autorenschaft auf (ähnlich den Konzepten von Marcel Duchamps oder Andy Warhol), indem er im Trance–Zustand neu–organisiert, was schon existiert. Auf diese Weise werden alte Traditionen zu einem neuen Ganzen zusammenge­schmolzen.

Wie der Surrealismus, will der Okkultismus die Grenzen der rationalen Philosophie und Logik (à la Descartes) aufbrechen. Okkultismus wird konnotiert mit dem Glauben an höhere Realitäten, an bestimmte Assoziationsformen mithilfe von Kabbala, an den Glauben an die Macht von Traum– und Trancebildern und an den vom Intellekt unzensierten Wortstrom. So viele Stimmen, Farben und Materialien wie nur möglich werden in der Untergrundkultur des freien Okkultisten empfangen. Eine Euphorie von Bildern und Stimmen bestimmt seine Identität und Reflexion. Wie jedes Utopia bezieht auch dieses seine Energie aus der Sehnsucht nach einer grenzenlosen Welt und enthüllt den archaischen Wunsch, einerseits Herr über die eigene Welt zu werden und anderseits, den Ketten aller Welten zu entfliehen. Gnosis verlangt manchmal nach einer Hinwegsetzung über die Struktur des Lebens selbst.

Der Okkultist steckt jedoch in einem Dilemma. Er strebt nach Weltherrschaft und schwankt gleichzeitig ambivalent zwischen der Kulturzerstörung (durch Widerstand gegen die herrschende Moral) und der Erhaltung der Hoch– und Massenkultur (da er deren magische Tradition benötigt). Es gibt keine ebenbürtige signifikante Alternative zu diesem absoluten Anspruch. Deshalb straucheln viele Okkultisten transzendental zwischen kultureller Anziehung und der Hoffnung, die existierende Kultur zu zerstören.
Nicht alle Zweige des O.T.O. übernahmen Crowley's Thelema. "Der Grund, dass [...] Aspekte von Thelema ausgelassen sind, ist das aktuelle Problem, wie Thelema in der Öffentlichkeit als Religion darzustellen ist, um so vom Staat anerkannt zu werden. Thelema ist ganz eindeutig konträr und an den Grenzen der normativen Gesellschaft. Thelema weist die normativen Werte und Moral ab und zielt auf die Ueberschreitung und Verletzung eben dieser Normen. Die Miteinbeziehung von Drogen in die Rituale, die positive Betonung der Sexualität, die als Werbung für Promiskuität angesehen werden kann und der autoritäre und pro-Nietzscheanische Aspekt von Thelema zwingen die normative Gesellschaft zur Ablehnung und gleichzeitig ermutigt Thelema seine Anhänger, die meisten Aspekte der normativen Gesellschaft abzulehnen." ["Journal of Thelemic Studies", 1;2, 2008, Seite 40, übersetzt]




Die Frage "Wer spricht denn hier?" bringt uns zum okkulten Wechselspiel zwischen Stimmen und Bildern. Das Sprechen ist ein Schreiben. Dieses Thema muss von der kulturellen Frage abgekoppelt werden und bleibt nur von Bedeutung für die Rechtsabteilun­gen okkulter Organisationen. In der Welt des freien ordensunabhängigen Okkultisten ist hingegen alles von glei­cher Bedeutung resp. Un–bedeutung. Als Subjekt ist er von der Schwerkraft seiner Einzigartigkeit be­freit und wird Plattform für Einflüsse aller Art. Die Vermischung ist alles und wird ein potentielles unerschöpfliches Reservoir an Zeichen. Die Sintflut von Stimmen und Bildern wird von ihrem Emp­fänger individuell entschlüsselt. Das okkulte Utopia versucht, sich als weltweites Netz vereinigter Ein­zelindividuen zu realisieren und will die Gesellschaft und die Kultur nachhaltiger verändern als jede Art von Sozialismus.[11] Dieses Netzwerk, eine Art okkultes Internet, hebt jegliche geographische oder soziale Distanz auf und entpuppt sich als Freiraum jenseits juristischer Grenzen – trotz Gegenwehr verschiedener Vereinigungen und staatlicher Organisationen, die Kontrolle ausüben wollen.

Es sind eher System–immanente Mechanismen, die der Effektivität und dem Blühen der okkulten Kultur Grenzen setzen.
Soll der Empfänger (der Trance–Eindrücke) jede Vision und jede Stimme akzeptieren, die er emp­fängt? Soll er sich freiwillig Grenzen setzen, indem er sich einer Auswahl von Impulsgebern aussetzt (z.B. okkulten Organisationen oder Traditionen, wie z.B. Crowleys Thelema) oder soll er bewusst sein eigenes Programm im esoterischen Supermarkt starten, das universell geplündert nur noch einen völlig entleerten Schatz völliger Subjektivität hinterlässt?

Die Entwicklung innovativer okkulter Kultur wird von okkulten Organisationen (z.B. O.T.O.) verhindert, da deren totalitärer Anspruch an Kultur (so wie in jeder kulturellen Gesellschaft) aus Wiederholungen von Ritualen, Zeichen etc. und wenig originellem Gedankengut oder Praxis besteht. Vom ordensgebundenen Individuum wird erwartet, dass es sich in der kulturellen Wiederholung des organisierten Okkultismus findet, was jedoch die Kreativität hemmt. Die visionäre Blaupause des obersten Vi­sionärs, Chef–Ideologen, Bedeutungsgebers, Bildermachers– und benenners Aleister Crowley wird von seiner defizitären Biographie und Anhängerschaft überschattet. Seitdem Crowley 1947 gestorben ist, wird er nun kon­trolliert von Copyrightsinhabern einer O.T.O.–Gruppe von 1977, die angibt, wie die Lust– und Körperbedürfnisse zu kontrollieren sind. Besonders zeigt sich diese Körper–und Bewusst­seinskontrolle in der rigorosen dogmatischen Anwendung dessen, was Crowley in der euphorischen Trance an vorgefertigten Bildern und Anweisungen als dogmatische Rezeptur hinterlassen hat (z.B. 729 = Baphomet), und der Reduzierung von Sexualität auf religiös verbrämte ritualisierte Sexualmagie.[12] Sinnlichkeit wird ein Theaterkrieg kultureller Erzeugung. Die bewusste Selbstversklavung (kontrolliert durch die Copyrightsinha­ber der okkulten Doktrin) dient als radikaler Gegenentwurf zur Mainstream–Kultur. Unterwerfung unter das okkulte Dogma wird als Bereich der Befreiung interpretiert – obwohl die angestrebte Ego–Auflösung sich als Produkt eines Überich herausstellt.

Bei all diesem Treiben stellt sich das weite Feld der Okkultgruppen als ein Dreieck dar, dessen Spitzen die drei Hauptreaktionen auf den kulturellen Bruch symbolisieren: ihn akzeptieren, ihn kritisieren oder ihm entfliehen.[13]
Der Okkultist versteht sich zugleich als Rebell und Narzist, der sich innerhalb[14] und gleichzeitig ausser­halb der vorherrschenden Kultur stellt.[15] Seine dogmatisierte Bilderverehrung (z.B. To Mega Therion) definiert sich als ein Bilderbann (z.B. in der Ablehnung des Christentums oder jeglicher Kritik). Er versteht sich als Teil einer Elite, und als reflektierender Psychopath will er sich selbst neu erschaffen. Manche Okkultisten gehen sogar so weit, ihr genetisches und familiäres Material mithilfe okkulter Praktiken be­wusst steuern und verändern zu wollen.[16] Der Körper, insbesondere der Kopf, wird nicht mehr nur als me­taphorischer Sitz von Wahrnehmung und Denken definiert, sondern als Nervenschaltpult, an dem alle durchströmenden Informationen wie am Mischpult neu koordiniert werden können.

Die meisten Okkultisten sind einzig an der Intensität ihrer eigenen Erfahrungen interessiert.[17] Okkulte Kultur (Okkultur)[18] meint auch den Untergang linearen Denkens. Der möglicherweise eingegrenzte Daseins–Raum dient als Metapher für den Verlust von Referenz und Bedeutung. Deshalb stranden solche okkulten Utopien: nur wenige Kultursuchende sind fähig, endgültig mit der Tradition und der Mainstream–Kultur zu brechen. Deshalb bleiben die meisten Hardcore–Okkultisten in ihrer Hoffnung auf Erlösung stecken und schwanken zwischen Erholung in der jenseitigen und in der dogmatisch bedeutungslos zu scheinenden diesseitigen Welt. Entweder am Küchentisch oder im Ehebett.[19] Dies nennen sie Gnosis – und sie wird von hierarchisch–bürokratisch strukturierten Organisationen im Vereinsregister kontrolliert, deren Selbstreflektion sich als kritikimmunes selbstverweisendes System enthüllt, das jegliche okkulte Subkultur unterdrückt und lähmt.

Dieses von Okkultisten unreflektierte Kommunikationssystem dient jedem, der willens ist, es zu be­nützen. Deshalb manifestiert sich Okkultismus meist in schon bestehenden Strukturen (z.B. machtori­entierten Organisationen wie O.T.O.), oder setzt sich in sozial–kulturellen Nischen von Angst und Agg­ressionen nieder (Satanismus, Geheimgesellschaften, Jüdisch–Freimaurerische Weltverschwö­rung, andere Versager).[20] Unzählige konkurrierende Organisationen (z.B. die verschiedenen O.T.O.–Gruppen) zeigen keinen Weg ins gelobte Land des New Age des Aquarius/Horus auf: nur den Rückzug auf altbekannte Werte von Macht und Konsum in einem Universum, das sich dem Kult von Objekten und religiösen Artefakten ausliefert. Doppelbedeutungen werden Standard, Stimmung wird Programm, Selbstwahrneh­mung wird als kulturelle Leistung inter­pretiert und reine Einbildung als Entdeckung. Dogmatisierung infantilisiert die Inhalte und diejeni­gen, die Klarheit wollen, finden sich eingehüllt in Ritualen der Selbstauflösung, die das angestrebte Ziel nicht erfüllen.

Im heutigen Zirkus der Weltbilder entpuppt sich der Okkultismus als eine Weiterführung von Moden, Gewohnheiten und Manieriertheiten sich selbst darzustellen: als eine Pseudo–Originalität. Die kultu­relle Realität des Okkultisten weist auf den symbolischen Zusammenbruch der Bilder und deren Redu­zierung auf hierarchisch geordnete Signale hin. Erleben, Aufzeichnen und Verarbeiten werden be­wusstseinsauslöschend auf vorgefertigte Bilder reduziert. Der Schritt vom Finden zum Erfinden wird methodisch–mathematisch aufgerüstet. Crowley und seine Anhänger betätigen sich als archaische Bastler an den Nahtstellen der Verstrickun­gen zwischen einer sichtbaren und unsichtbaren Welt, wo sich Unerhörtes aus dem unergründlichen Reich mitteilen will. Dies wird auch mit dem Motto von Crowleys Zeitschrift "The Equinox" ausgedrückt: "Die Methode Wissenschaft – Das Ziel Religion." Crowleys Wissenschaft ist jedoch kein diskursives Deutungsverfahren, kein Ort, wo Wissen eine Halbwertszeit aufweisen darf. Vielmehr ist sein Konzept mit dem Anspruch aufgeladen, methodisch zu funktionieren und starre esoterische/okkulte Inhalte auf die Ebene objektiver Erkenntnis zu rücken. Es fehlt diesem Konzept an einer Soziologie des Wissens, an der Einsicht, dass Wissen von kulturellen Bedeutungen abhängt, von der Sprache, von den zugänglichen Wissensbeständen.

Was bleibt, ist die Inflation von Gnosis und Ego. Und ein amerikanischer O.T.O., der von seinem Leiter als dekoratives Element für seine Berufung als Musiker benützt wird.
 
 

ENDNOTEN


[1] Urversion als Vortrag für C.E.S.N.U.R. an der Universität Montréal, 1996.

[2] Die Gesellschaft artikuliert Meinungen zum Okkultismus, über seine Ideologie, und reflektiert so auch hier Geschlechterrollen, Klassenzugehörigkeiten, Rassenzugehörigkeit, etc., jedoch immer mit einem Publikum im Hinterkopf.

[3] Wobei ich hier Okkultismus nicht definiere, da sich der Inhalt subjektiv und kulturell permanent ändert, nicht jedoch die Bezeichnung. Generell denke ich bei Okkultismus an eine eher aktive Teilnahme, denn ein simples Visionen–Empfangen: der Okkultist beobachtet nicht nur, er provoziert das zu Beobachtende. Okkul­tismus kann als Kultur der Literatur empfunden werden, da er sich mehrheitlich durch Bücher, Privatbibliothe­ken, spezialisierte Buchhandlungen, Zeitschriften und den Austausch von Manuskripten verbreitet. Anfang des 20. Jahrhunderts fand der Okkultismus Einzug in Romane, Reisebeschreibungen und boulevardisierte Artikel für das einfache und finanziell nicht so gut gestellte Publikum. Dadurch fanden flexible Neudefinitio­nen des Begriffs Okkultismus statt, der sich zuerst vor allem in der begüterten Bohemien–Szene verbreitet hat, bevor er zu einer an jedem Kiosk erhältlichen Massenware mutierte. Bradford J.M. Verter: "Dark Star Rising: The Emerging of Modern Occultism 1800–1950", Dissertation Princeton University 1997, 93ff. So hat zum Bei­spiel William Breeze erstmals durch Robert A. Heinleins "Stranger in a Strange Land" (1961) von Crowley gelesen. Die ursprüngliche Mitgliederwerbung des Caliphats bestand darin, dass Mitglieder in Buchhandlungen heimlich Werbezettel mit Kontaktadressen in okkulte Bücher geschoben haben. Gespräch mit Andrea Bacuzzi, April 1988. Heimlichkeit ist eine der Lieblingsvorstellungen der Thelemiten (wie auch der vielen Neuen Religionen), die hier eng mit Verfolgungsangst und einer gewünschten Märtyrer–Rolle zusammenfällt. Andrea Bacuzzi, VIII° und IX°, sieht die Caliphats–Mitglieder in derselben Rolle wie die Christen zur Zeit der Verfolgung durch die Römer (201–313). Sie erwartet, dass Thelema in 1000 Jahren Staatsreligion werden wird, so wie es das Christentum 391 wurde.

[4] Religiöse Aussenseiter erfinden eine Insidersprache, um sich vom Mainstream abzuheben, R. Laurence Moore: "Religious Outsiders and the Making of Americans", NY 1986. Es scheint, als ob Subkulturen nur mit sich selber sprechen wollen.

[5] Aus der zahlreichen Anzahl von Sachbüchern zu diesem Thema seien hier lediglich zwei herausgezogen. Ulrich Schnabel: "Die Vermessung des Glaubens", München 2008. Michael Blume: "Gott, Gene und Gehirn", Stuttgart 2009.

[6] "Restrictive both in theory and practice, alternative religious systems may be understood as luxury commo­dities that serve a social function by indicating the believer's economic, cultural, and social location or aspira­tions," "Things other than money and property may count as capital: education, social networks, artistic abi­lities, cultural knowledge, all obtained at the expense of labor," Verter, Dark Star Rising, 200, und die komple­xen okkulten Systeme zu beherrschen, bedeutet eine Menge Arbeit und entmutigt Dilettanten. "The educatio­nal, financial, and recreational exclusivity of esoteric lore enhanced ist symbolic value [... and] flattered the reader's intelligence," 209. "To take up the study of occultism, then, was to renounce identification with the lower classes, and to join the ranks of the aristocracy," 213.

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/Pareidolie.

[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Kryptomnesie.

[9] So zeigen zum Beispiel Patienten mit nicht organisch bedingter Amnesie ganz verschiedene Symptome, weil sie unterschiedliche Vorstellungen von der Arbeitsweise des Gedächtnisses haben, etwa aus Filmen. Man könnte auch von unbewusster Selbsttäuschung sprechen.

[10] Als freie Okkultisten können in diesem Zusammenhang auch die Mitglieder von Kenneth Grants Typhonian O.T.O. (oder Typhonian Order) angesehen werden, da in diesem Ordensgebilde die Grade lediglich auf die Art der angewandten Magie ohne hierarchischen und administrativen Ballast hinweisen und die Gesamtschau Grants ein ungeordnetes oszillierendes Konglomerat unzähliger Magieströmungen darstellt, das die Anhänger zur Kreativität geradezu zwingt. Verwandt scheint damit auch Michael Bertiaux' O.T.O.A. zu sein, wo jeder Grossmeister sein eigenes Ordenssystem kreieren kann.

[11] Die Platonische Idee, dass Kultur aus zwei parallel existierenden Religions–Systemen besteht, nämlich einem illusionären für die Masse und einem erleuchteten für die Wissenden, wird da gesprengt, wo Thelema Religion für den Mainstream werden will.

[12] 1981 wird vom Caliphat der Codex Juvenis publiziert, der genau bestimmt, was während des Orgasmus mit oder ohne Absicht der Kinderzeugung zu denken ist, "Magickal Link" I;12, Berkeley Dezember 1981, 2. Über das Verhalten im Tempel: "Occassional [sic] sex is of course up to the individuals involved, and in some instances officers may be in short supply; but human nature shows that a married or pair–bonded couple is a risk for the stability of both the family and the official body in the dual ranks of officers of the body. Where convenient, it's best to have officers from different family units [...] Marriage counciling is not an appropriate activity, being basic nosiness. Discussions of Magickal Attacks and evil mindedness are not proper business," etc. etc., in "Magickal Link" III;3, Berkeley März 83.

[13] Typologie nach Bryan Wilson: "Religious Seed: A Sociologal Study" New York 1970.

[14] Das Caliphat versucht, Thelema als eine Religion unter anderen Religionen in der Gesellschaft zu positionieren, lässt aber Rituale oder Ritualanleitungen, wie die Mass of the Phoenix, Liber Nu, Liber Had, Liber Astarte, Liber Thisharb, Liber VII, X, LVX, XC, CCXXXI und andere aus der Wahrnehmung verschwinden, da diese im sozialen Kontext problematisch scheinen, auch wenn viele dieser Texte keine direkten O.T.O.–Texte sind, sondern eher Crowleys A.·. A.·. zuzuordnen wären. Es sei nochmals das "Journal of Thelemic Studies", 1;2, 2008, http://thelemicstudies.com/JoTS1–2.pdf, Seite 40 zitiert: "The reason these aspects of Thelema are omitted indicates the actual problem with presenting Thelema as a religion and attempting to get Thelema sanctioned by the government or approved by the public: Thelema is ultimately in contrast to and transgressive of normative society. Thelema rejects the morals and values of normative society and acts to transgress and violate these norms. From the inclusion of intoxicants in ritual, to the positive view of sexuality, which frequently is seen as promoting promiscuity, to the pro–authoritarian and Nietzschian aspects of Thelema, normative society has much to reject in Thelema and conversely, Thelema encourages its adherents to reject most aspects of normative society."

[15] Siehe das Unterkapitel über "Die Vorherrschende Kultur" im Kapitel "Spielausgabe einer O.T.O.–Fatamorgana" im 3. Band des "O.T.O. Phänomen RELOAD", München 2011.

[16] Siehe dazu das Unterkapitel über den Ma'at–Kult im Kapitel über Kenneth Grant  im RELOAD und das Buch "Abramelin & Co.", München 1995.

[17] "The significant issue is not some idea of 'objective reality', but rather the individual's definition of the situa­tion," Claudia Kowalchyk: "A study of two 'deviant' religious groups: The Assemblies of God and the Ordo Tem­pli Orientis", NY 1994, 315. "Magic works; this is not open to argument," 318.

[18] Okkultur ist ein Neologismus, der Mitte der 1980er Jahre in den Mainstream geraten ist. Genesis Breyer–P–Orridge: "Thee Psychick Bible", Port Townsend 2009, 11. William Irwin Thompson: "Evil and World Order", New York 1976, 35 ff.

[19] Zumindest sollen die Tempel aus den Wohnungen hinaus gelagert werden: "It serves no purpose for anyone to have a 'name only' or vanity Body. They make for a rather pathetic organization, and who wants to be part of that? The adversarial attitude we've seen between some local and governing Bodies has got to go, or this process will be slowed. Committed O.T.O. members should be more than willing to help the Order as a whole by making sure their Body reflects current standards and is the best the local membership can build. Moving Order activity away from homes is the most important challenge facing our current generation today. We encourage everyone to visit a non–residential O.T.O. temple to fully appreciate what it means to the community it serves. That sense of ownership simply cannot exist in a home. Separate facilities draw more members, make many of our tough policy questions vanish, and lend an air of seriousness to the Order." Elizabeth McBryde: "When considering the state of the O.T.O.", in "Agape" IV;I, California 1 May 2002, 4.

[20] Die Definition Okkultismus hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg geändert: was vorher entweder Statussym­bol oder exzentrisch gewesen ist, Orientalismus, Dunkelheit, das Geheime, sexuelle Offenheit, Dekadenz, wird seitdem eher negativ konnotiert.



© P.R. Koenig 2011

Urversion erschienen in GNOSTIKA #4, Oktober 1997
A.A.G.W.
Lothar von Kuebelstrasse 1
D 76547 Sinzheim
Deutschland


Tradução portuguesa: Criação Extática de Cultura
English version: Ecstatic Creation Of Culture

This article was also a speech delivered for C.E.S.N.U.R. at the University of Montréal in 1996




Mehr über diese Orden und ihre Protagonisten in: Andreas Huettl und Peter-R. Koenig: Satan - Jünger, Jäger und Justiz

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